Kirchen und Big Data: Das WSJ hatte rund um Weihnachten eine Geschichte,
wie amerikanische Kirchen über personalisierte Werbung Menschen in Krisen suchen, um ihnen zu helfen und sie sich zuzuführen. De facto zeigt das die Digitalisierung des Geschäftsmodells: Gloo heißt die Firma, die den Kirchen entsprechend Kontaktadressen und Telefonnummern zuführt. Eigentlich läuft es so: Gloo wertet Dateien von Drittparteien aus, schaltet personalisierte Google- oder Social-Werbung, zum Beispiel für christliche Männer, die sich gerade scheiden lassen, führt die auf eine Landing Page, wo diese Männer ihre Daten eingeben können, um regional kontaktiert zu werden und spirituelle Unterstützung zu bekommen. Dann gibt sie die eingegebenen Daten an ihre Kunden in der entsprechenden Region weiter. Man übernimmt also als Zwischenhändler die Kundenakquise. Das dürfte seitens der Kirchen ein gutes Investment sein, denn aktive Kirchenmitglieder spenden über die Jahre in der Regel sehr, sehr ordentlich.
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Kirchen und Corona: Dazu passend hat der
Economist eine längere Geschichte über die Krise der Religionen, die durch Corona noch verschärft wird. Beziehungsweise: Die Verlierer werden noch mehr verlieren, im Bereich christlicher Kirchen zum Beispiel stärker fusionieren müssen. Auch das passt gut zu obigen Versuchen, zielgenau digital Mitglieder zu werben.
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Was beide Artikel gemein haben: Ein Blick auf organisierte Religion aus dem Blickwinkel des Geschäfts - und eine Beschreibung der Digitalisierung des bisherigen Geschäftsmodells.
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Web3: Moxie Marlinspike hat auf seinem Blog
eine sehr gute Analyse zu Web3 veröffentlicht, die ich nur ans Herz legen kann. Im Kern seiner Aussage: Wir können nicht erwarten, dass sich jeder Mensch Server ins Wohnzimmer stellt. Wir können nicht einmal mehr erwarten, dass das Firmen tun. Mit dem Smartphone hat sich das Client-Server-Prinzip final etabliert, deshalb kann "Web3" nie wirklich dezentralisiert sein, sondern die Firmen, die Server für die Blockchain-Calls/Verifizierungen betreiben, werden zu Plattformen (also Infura, Alchemy). Und damit auch zu neuen Gatekeepern. Ganz nebenbei zeigt Marlinspike, wie fragil das Ganze NFT-Verweissystem ist. Wie gesagt, sehr, sehr lesenswert.
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Zentrales Zitat:
"Given the history of why web1 became web2, what seems strange to me about web3 is that technologies like ethereum have been built with many of the same implicit trappings as web1. To make these technologies usable, the space is consolidating around… platforms. Again."#
Nanny-Staat und delegierender Staat: Die Medien-Politiktwitter-Analyse, die
Juli Zeh im ZEIT-Interview (€) vornimmt, fand ich eher weniger interessant. Bemerkenswerter fand ich ihre Staatskritik: Die Bundesrepublik als Nanny-Staat, der keine Härten möchte, aber auch keine Verantwortung übernimmt, zum Beispiel für die Überprüfung der 2G-Regeln. Im Kern ist das ja die Beschwerde, dass die Politik zu antiautoritär ist. Leider ist das Gegenmodell (also das Argument für straffe politische Entscheidungen), das sie heranzieht, das falsche: Helmut Kohl hatte sicherlich Widerstände auf dem Weg zur Einheit zu überwinden, aber die Entscheidung war ja gerade von der Zustimmung aus der Bevölkerung getragen. Ich teile in verschiedenen Punkten die Nanny-Kritik, aber Zeh formuliert etwas, was sich sowohl als Wunsch nach mehr Verbindlichkeit, als auch nach stärker autoritärem politischen Agieren lesen lässt. Das sind sehr unterschiedliche Dinge - und ich weiß nicht, ob meinem Verständnis die Präzision fehlt oder ihrer Kritik.
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